All you can ohmm? Warum es nicht egal ist wie du deine Yogastunde buchst

All you can ohmm? Warum es nicht egal ist wie du deine Yogastunde buchst

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich liebe Yoga. Sport macht mich happy und ich probiere auch gerne jeden Spaß aus ("Kryotherapie? Wann hast du Zeit?"). Ich habe selbst Fitness-Apps getestet, die von Aikido bis Zumba fast alles möglich machen; Sauna und Massage noch dazu. Die Kündigungsfristen sind kurz, die Preise bestechend niedrig. Fast zu schön um wahr zu sein, denkt man als Konsument.


Niedrige Preise - aber auf wessen Kosten?


Zugleich sehe ich als Yogalehrerin auch, was Kollegen widerfährt die einen Partnervertrag mit Urban Sports Club haben, dem Marktführer im Bereich dieser Aggregatoren. Ich kenne das Angebot also von zwei Seiten - und die Vor- und Nachteile sind da sehr unterschiedlich verteilt. Und das Missverhältnis verschärft sich ausgerechnet jetzt, wo die Situation für viele Yoga-Anbieter durch den wochenlangen Corona-Shutdown ohnehin schon sehr angespannt ist. 


Denn mitten in dieser schwierigen Zeit hat USC beschlossen, die Onlineklassen vieler Anbieter nicht mehr in der App zu listen und zu vertreiben. „Sie wurden rausgeschmissen - und nur sieben Tage im Voraus benachrichtigt“, sagt Victoria Larsson, Yogalehrerin in Berlin. Eine Chance sich zu wehren oder sich wenigstens ausreichend darauf vorzubereiten gab es nicht. Und dass die Livestream-Kurse einiger Anbieter für die Nutzer der App unsichtbar werden, andere aber weiter buchbar sind, empfinden viele als extrem ungerecht. USC sei bewusst dass das sehr kurzfristig war, sagt die Verantwortliche für Zusammenarbeit mit den Partnerstudios Aline Quack im Interview. „Wir hätten uns auch mehr Vorlauf gewünscht“. Aus wirtschaftlichen Gründen sei die Entscheidung aber unumgänglich gewesen. Nach der letzten Lockerung der Corona-Beschränkungen müsse das Unternehmen zu seinem Kerngeschäft zurückkehren (siehe Anmerkung 1, unten). Und das seien nun mal analoge Angebote. Also habe man u.a. die Mitgliederbewertungen und Buchungsstatistiken ausgewertet und dann entschieden, wer weiter dabei ist und wer nicht. „Wir können nicht ganz vom Onlineangebot weg.“ Von insgesamt 700 Anbietern, die nach Beginn des Shutdowns auf online umgestellt hätten, seien deshalb seit 1. Juli nur noch 100 im Angebot - und ab August sollen es noch weniger sein.


Social Media Kampagne: Keine Fairness, keine Transparenz  


Extrem ärgerlich findet das Victoria Larsson. Sie hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Sophie Senoner eine Protestkampagne in den sozialen Medien organisiert. Unter #supportyourlocalyogastudio wollen sie die Besucher von Yogastudios darauf aufmerksam machen, welche Folgen die Nutzung solcher Apps für einzelne Yogaanbieter und die gesamte Yogainfrastuktur haben können. „Eigentlich war der Start der Kampagne erst eine Woche später geplant“, sagt Sophie. „Aber jetzt haben wir ihn vorgezogen. Die kurzfristige Beschneidung des Onlineangebots vieler Kollegen fanden wir zu schlimm.“


Auch andere Yogalehrende betonen, dass sie monatelang mit ihrem großen Einsatz dazu beigetragen hätten, dass Urban Sports Club trotz geschlossener Sporteinrichtungen überhaupt noch Kurse anbieten konnte. Als alle Studios aufgrund behördlicher Anordnungen dicht machen mussten haben viele auf eigene Kosten technisches Equipment angeschafft, Streamingmöglichkeiten im Netz geprüft, Stundenpläne neu strukturiert, didaktische Konzepte überarbeitet, ihre Kamerascheu überwunden… und sind ins kalte Wasser gesprungen. Trotzdem stehen auch so engagierte Partner jetzt vor einem großen Umsatzeinbruch, weil auch ihre Onlineklassen aus dem Programm geflogen sind. Die schnelle Umstellung der vielen Studios und einzelnen Yogalehrenden sei auch wirklich eine tolle Leistung gewesen, sagt Aline Quack. Ihre PR-Kollegin Franka Schuster betont aber, dass auch USC selbst innerhalb weniger Tage das ganze Angebot neu gestalten musste.


Alle wieder zum Yoga in die Studios?


Ob jetzt tatsächlich wieder mehr Teilnehmende in die Studios gehen um vor Ort Yoga zu machen ist allerdings unklar. Denn bundesweit sind die Beschränkungen inzwischen zwar weiter gelockert worden; dennoch gelten weiter strenge Vorschriften in Sachen Gesundheit und Hygiene. Eine Umfrage unter den Nutzern von Fitnessstudios von Mitte Mai zeigt das hohe Bewusstsein für die pandemiebedingten Veränderungen (siehe Anmerkung 2, unten). Deshalb ist Onlineyoga für viele immer noch die sicherste Alternative, ihre Praxis aufrecht zu erhalten. Ohne Ansteckungsgefahr, ohne zusätzlichen Stress. Und ohne räumliche Abhängigkeiten.


Denn dazu kommt: in vielen Bundesländern haben die Sommerferien schon angefangen, die Leute wollen nach der langen Zeit zu Hause endlich ein paar Tage weg. Liveklassen auf dem Laptop oder iPad zu streamen ist eine gute Möglichkeit, auch im Hotelzimmer die Verbindung zu ihrem Yogalehrer oder ihrer Lehrerin zu halten. Und dann sind da ja noch die vielen Outdoor-Sportmöglichkeiten im Sommer für die man weder ein Studio noch eine App braucht.


Besonders schwierige Phase für viele Studios


Deshalb sind die Sommermonate in den Studios ja ohnehin eher buchungsschwach. Umso mehr wären die Betreiber eigentlich darauf angewiesen wenigstens bei den Online-Klassen noch Buchungen zu generieren. Wer in dieser schwierigen Gesamtsituation plötzlich nicht mehr mit seinem Angebot bei USC sichtbar ist, für den kann es knapp werden. Denn in den vergangenen Jahren haben solche Apps den Markt bereits verändert. Teilnehmende checken zunehmend darüber in Yogaklassen ein; entsprechend informieren sie sich immer weniger direkt auf den Homepages des Studios über Stundenpläne, und melden sich dort auch nicht direkt an oder bezahlen vor Ort.  


Sophie Senorer spricht von einer wachsenden Abhängigkeit: in ihrem Studio Hi!Yoga in Kreuzberg buchen 80-85% aller Besucher über Urban Sports; Besucher die über andere Plattformen kommen oder sich direkt anmelden machen jeweils nur einen sehr kleinen Teil aus. Als sie den Partnervertrag unterschrieben hat habe sie nicht kommen sehen dass auch ihre Stammkunden lieber die App nutzen und somit für sie zum Teil verloren gehen würden, sagt sie. Weitere Probleme sind laut Victoria und Sophie eine intransparente Preisgestaltung bei USC; in der Kampagne selbst ist sogar von Preisdumping die Rede. Darauf angesprochen verweist Aline Quack auf die Gesetzmäßigkeiten des Marktes - da sei USC selbst „nur ein kleines Rädchen im Getriebe“.


Wachsende Abhängigkeit und intransparente Bezahlung 


Was USC tut um Härtefälle aufzufangen? Quack und Schuster verweisen auf einen Solidaritätsfonds, den das Unternehmen zu Beginn des Lockdowns gebildet hat. 20% der Einnahmen hat Urban Sports demnach vorübergehend eingesetzt um seine Arbeitsplätze zu erhalten und die Umstellung auf das Onlinegeschäft zu finanzieren; 80% gingen an die Partner. Zuerst an die, die ein Onlineangebot auf die Beine gestellt hatten, und dann zur Unterstützung auch an Partner die dazu nicht in der Lage waren (zB Kletterhallen und Spas). Von Bemühungen für die Yoga-Lehrenden denen aktuell der Zulauf für ihre Onlineklassen fehlt ist dagegen nicht die Rede.


Auch die Social Media Kampagne kann da so akut wohl keine große Hilfe sein. Der Protest bei Instagram könnte eher mittelfristig dazu beitragen, dass viele User sich überhaupt den Zusammenhang klar machen - zwischen ihrem Wunsch nach nachhaltigem Konsum und ihrem Check-In im Yogastudio. Allerdings ist die Kampagne derzeit nicht so sichtbar wie sie sein könnte. Eine Betroffene hat mir gesagt dass sie sich nicht traue mitzumachen und öffentlich Vorwürfe zu erheben. Denn sie wolle nicht auch noch die Möglichkeit verlieren, ihre Studioklassen über USC zu vermarkten. 


Was hat das mit dir zu tun?


Victoria Larsson hat solche Sorgen nicht mehr. Sie sagt, sie verzichte freiwillig auf die Besuche von USC-Mitgliedern und habe die Kooperation vor einigen Monaten beendet. Warum? Sie spricht von einer Form von Kapitalismus, die den Gemeinschaftsgeist in den Yogastudios vernichte. Studiohopping und permanent wechselnde Gäste würden es unmöglich machen nachhaltige menschliche Verbindungen aufzubauen. Sie erwähnt nachlässigen Umgang mit dem Equipment und sogar Fälle von Diebstahl in den Umkleiden. Sicher nicht allein die Schuld einer Fitness-App. Aber auch ein wichtiger Punkt, der ein Yogastudio zu einem besonderen Ort macht. Der uns daran erinnert, warum Yoga mehr ist als nur eine weitere Workout-Option - und uns vor die Frage stellt was das für uns heißt, wenn wir das nächste Mal unsere Lieblingsstunde buchen.


Anmerkung 1: Urban Sports Club ist ein deutsches Startup. Seit der Gründung 2012 hat es mehrere Konkurrenten aufgekauft und operiert derzeit in insgesamt sieben Ländern in Europa. Wer die App nutzt entscheidet sich für ein Abo, bezahlt monatlich einen festen Betrag und kann dafür in verschiedensten Yoga-, Sport- und Wellnesseinrichtungen einchecken. In Hamburg hat USC zb ca 470 solcher Partner-Studios. Diese Partner bekommen pro Besucher einen bestimmten Betrag. Die Summe ist niedriger als die, die das Studio normalerweise einnehmen würde. Dafür spart es aber Kosten für Personal, Verwaltung und Marketing. Und es bekommt über die App auch Zulauf von Kunden, die sonst vielleicht nie den Weg dorthin gefunden hätten. Klingt nach einer Win-Win-Win-Situation. Eigentlich. Noch im Februar, also kurz vor der Pandemie, sagte Gründer Moritz Kreppel dem Handelsblatt, dass USC bisher nicht profitabel arbeitet, da der Fokus noch auf dem Wachstum liege. Das Wachstum ist auch der Faktor, der zu mehr und mehr Druck führt. Denn je mehr Studios mit USC kooperieren, desto größer ist die Sorge nicht von Kunden gesehen zu werden wenn man sich entscheidet NICHT mitzumachen. Und dann ist da natürlich noch der Preisdruck - nach innen wie nach außen. Und die Frage welche Veränderungen die Phase nach dem Wachstum für den Markt mit sich bringt.

Anmerkung 2: Eine Mehrheit der Befragten (40%) macht die Frage ob sie wieder in ein Studio gehen davon abhängig, wie die Schutzmaßnahmen dort jeweils sind. Studie: "Fitness in Zeiten von Corona“ des Deutschen Industrieverbands für Fitness und Gesundheit


Dieser Text wurde am 3.7.2020 geschrieben und wird nicht upgedatet.